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Handwerk ist Luxus. Gespräch mit Lino Guzzella

Von Simone Achermann

 

Es braucht Arbeitsteilung, um den Wohlstand langfristig zu sichern. Wenn alle alles machen, endet dies im Chaos. Als sinnstiftende Freizeitbeschäftigung taugt der Trend zum Selbermachen aber allemal, sagt der ETH-Rektor Lino Guzzella.

Nach Jahren des Lebens in der Wissensgesellschaft wird das Machen wieder zum Ideal. Was sagen Sie als Rektor einer Wissensinstitution dazu?

Ich stehe dieser Bewegung eher kritisch gegenüber. Und dies aus drei Gründen. Erstens basiert der Erfolg jeder modernen Wirtschaft und damit unser Wohlstand auf Arbeitsteilung. Doch wie immer, wenn ein System funktioniert, wird vergessen, woher dieser Erfolg kommt – und das System sabotiert. Wie man auf die Idee kommen kann, die Arbeitsteilung rückgängig zu machen, indem alle alles machen – und das ist es ja, was die Macherbewegung anstrebt –, ist mir unverständlich. Zweitens ist die Qualität der meisten Produkte besser, wenn sie industriell gefertigt werden. Nehmen wir Autos als Beispiel: In den Siebzigerjahren hat die industrielle Fertigung die Manufaktur punkto Qualität überholt. Auch der talentierteste Handwerker hatte keine Chance mehr, das Niveau der industriellen Produktion zu erreichen. Ein Rolls-Royce wird zwar noch teilweise handgemacht – daher ist er so teuer –, technisch gesehen ist er aber nicht besser als ein Golf. Und drittens gefährdet der Wunsch, alles selber zu machen, den sozialen Ausgleich. Selbstgemachtes ist viel zu teuer und die Folge wäre, dass eine Mehrheit der Menschen sich technische Hilfsmittel wie Waschmaschinen nicht mehr leisten könnte. Stellen Sie sich vor, wir müssten plötzlich wieder im Fluss unsere Wäsche waschen. Diese Zeit können wir besser nutzen – zum Beispiel, um kritisch über gesellschaftliche Entwicklungen nachzudenken.

 

Sie sprechen vor allem von komplexen technischen Produkten. Wie sieht es denn bei Konsumgütern wie Kleidern oder Spielsachen aus, bei denen Perfektion keine so wichtige Rolle spielt?

Dort macht das Selbermachen sicher mehr Sinn. Aber auch hier zeigt die Entwicklung, dass wir vergessen haben, wie gut es uns im technischen Zeitalter geht. Keine Perfektion anstreben zu wollen, ist eine Folge der Wohlstandsgesellschaft. Wir können es uns leisten, viel Zeit zu investieren, um schlechte Ware zu fertigen. Ein Beispiel: Wenn ich mir selber ein Vogelhäuschen bauen will, kommt mich das ziemlich teuer – ich brauche Holz, Werkzeug und mehrere Stunden Zeit. Doch seine Aufgabe wird es letztlich eher schlechter erfüllen als ein für 20 Franken gekauftes.

 

Sie hätten also mehr Freude am günstig gekauften Vogelhaus?

Das vielleicht nicht. Der Prozess des Herstellens würde mir sicher Freude bereiten. Dann muss man das Selbermachen aber nicht unter dem Aspekt betrachten, gute Qualität bei günstigem Preis erzielen zu wollen. Vielmehr ist es eine Art Therapie in der Wissensgesellschaft, die erfreulicherweise auch noch billiger ist als eine normale Psychotherapie. Als sinnstiftende Freizeitbeschäftigung ist die Macherbewegung sicher ganz gut.

 

Können wir den Wunsch nach Selbstgemachtem als Folge einer zunehmenden technischen Komplexität interpretieren – von Geräten, die wir alle nicht mehr verstehen?

Gut möglich, denn das ist tatsächlich ein grosses Problem. Technik wird naturgemäss immer komplexer. Auch ich habe keine Ahnung, wie ein Handy im Detail funktioniert. Allerdings ist eine Rückkehr zur Mechanik, die für den Benutzer viel zugänglicher wäre, weil sie die technischen Prozesse sichtbarer macht, nicht möglich. Die heutige Technik arbeitet nun einmal mit Bestandteilen, die man nicht sieht, wie beispielsweise elektromagnetischen Wellen. Wir haben einen grossen Wohlstand erreicht, unser aller Leben ist bequem. Den Preis, den wir dafür bezahlen, ist Arbeitsteilung und Komplexität. Einen Preis, den ich gerne bereit bin zu zahlen.

 

Dann müssen wir uns alle autodidaktisch technisches Wissen aneignen?

Bis zu einem gewissen Masse ja, besonders, wenn man aktiv an demokratischen Entscheidungsprozessen teilnehmen will. Die Demokratie setzt ja voraus, dass der Einzelne fähig ist, seine Entscheidungen rational zu fällen, und dazu benötigen wir manchmal ein gewisses Technikverständnis. Es braucht aber beides: Verantwortung auf Seite der Bildung und der einzelnen Bürger. Alle Bildungsinstitutionen – vom Kindergarten bis zur Hochschule – sind aufgefordert, den Aspekten Mathematik, Naturwissenschaft und Technik hohes Gewicht beizumessen. Gleichzeitig muss jeder Einzelne von uns seine Verantwortung als Bürger wahrnehmen und sich das entsprechende Wissen aneignen. Wir sind eine Technikgesellschaft, keine Agrargesellschaft mehr. Es ist schön zu wissen, wie man Korn von Hand mahlen kann. Aber wichtiger ist es, dass wir einigermassen verstehen, wie unsere technischen Alltagsgeräte funktionieren.

 

Müsste Technik dazu nicht attraktiver gestaltet werden, so dass die Leute wieder darüber staunen können?

Da haben Sie recht. Die sinnliche Seite der Technik wäre enorm wichtig, wenn es darum geht, die Leute zur Auseinandersetzung mit ihr zu bewegen. Es liegt aber in der Natur der Technik, dass sie immer leistungsfähiger werden muss, und dies oft auf Kosten der Sinnlichkeit – ein schwer lösbares Dilemma. Der einzige Ansatz ist wohl: mehr Engagement für technische Erlebnisse. Ein gutes Beispiel ist die Initiative explore-it, die vor rund acht Jahren Technik-Kits für Kinder entwickelt hat. Am besten, man beginnt schon in den Kinderschuhen, sich der vermeintlich unnahbaren Technik zu nähern.

 

Könnten 3D-Drucker für den Heimgebrauch, mit denen wir bald schon selber Schokolade herstellen, dabei eine Rolle spielen?

Vielleicht. Allerdings wird man zumindest in den nächsten paar Jahrzehnten nur sehr einfache Produkte drucken können. Komplexe Technik wie Computer werden wir wohl gar nie per Knopfdruck herstellen können. Für jeden Einzelnen ist es aber vielleicht ein witziges, wenn auch teures Hobby. Schokolade aus dem Laden ist viel günstiger und ressourcenschonender, als wenn wir dazu einen Computer, Software, elektrische Energie und Material benötigen. Aber vielleicht macht die selbstgedruckte Schokolade ja tatsächlich mehr Freude.

 

Die Makerbewegung versteht sich auch als Protest gegen die zunehmende Einheitskultur als Folge der Globalisierung. Was sagen Sie dazu?

Selber machen ist schön, aber wie gesagt oftmals ein Luxusverhalten. Wir haben wirklich grössere Probleme zu lösen als den standardisierten Wohlstand zu bekämpfen – Welthunger, Energieversorgung oder der fehlende Zugang zu sauberem Wasser für Milliarden von Menschen, um nur wenige Beispiele zu nennen. Selber machen ist gut, so lange man es unter dem abbucht, was es ist: sich eine Freude zu bereiten. Ein wesentlicher Beitrag zur Lösung der dringenden Probleme dieser Welt ist es aber kaum.

 

Lino Guzzella ist seit dem 1. August 2012 Rektor der ETH Zürich. Der ETH-Professor für Thermotronik, ein Forschungsgebiet, das sich mit Energiesystemen befasst, hat ein spezielles Interesse am projektorientierten Lernen. In der Forschung untersucht er mit seiner Gruppe neue Ansätze für sparsame und umweltschonende Energiewandlungssysteme. Lino Guzzella wurde 1957 in Zürich geboren. 

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