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Ozeandampfer statt Sportboot. Gespräch mit Sven Regener & Jakob Ilja

Von Stefan Pabst


Die Kunst ist deshalb so langlebig, weil sie untrennbar zum Menschen gehört – durch sie bekommt das Leben einen besonderen Glanz. Die Musiker Sven Regener und Jakob Ilja von «Element of Crime» sind überzeugt, dass sich daran auch im digitalen Zeitalter nichts ändern wird. Und auch heute werden sich noch Bands gründen, die 30 Jahre lang gemeinsam Musik machen werden.

 

Herr Regener, die Band «Element of Crime» gibt es seit über 30 Jahren. Warum? 

Regener:

Soweit ich weiss, gibt es kein vorgeschriebenes Ablaufdatum für Bands. Wenn man es wirklich liebt, Musik zu machen, dann will man das sein ganzes Leben lang tun. Auch baut man mit einer Band etwas auf – und den Stil, den man über viele Jahre entwickelt hat, gibt man nicht leichtfertig her. Ich bin der Überzeugung, dass man als Musiker nur eine Band im Leben hat. Genau eine. Die Beatles waren die Band von Paul McCartney – die Wings waren es nicht. Paul Weller hatte The Jam. Das war seine Band – The Style Council waren es nicht. Nachdem du eine bemerkenswerte Band aufgebaut hast, kannst du das nicht wiederholen. Andererseits musst du eine Band stetig weiterentwickeln, damit sie über lange Zeit bestehend kann. Wenn du etwas bewahren möchtest, dann musst du auch Sorge tragen, dass es in Bewegung bleibt. Mit «Element of Crime» habe ich immer wieder das Gefühl, dass es hinter dem, was wir gemacht haben, noch etwas zu entdecken gibt. Man muss als Band gegen seine eigene Geschichte anstehen können, sonst wird alles doch recht museal.

IlJa:

Es gibt noch andere Kriterien für die Langlebikgeit einer Band. Eine Band muss einzigartig sein, klar. Aber man muss mit seiner Musik auch Geld verdienen können, sonst leidet die Lebensdauer. Und man muss zu dem, was man erschafft, immer einen persönlichen Zugang haben. Das ist die Grundlage für Freude, Glaubwürdigkeit und Zufriedenheit. Und: Man muss gerne auf der Bühne stehen!

 

Heisst das, es gibt eine Art DNA, die eine Band ausmacht?

IlJa:

Ja, unbedingt. Erst die DNA erlaubt es einer Band, die Vernunft auszuschalten und etwas Neues zu kreieren. Im Laufe einer Bandgeschichte wird man routinierter und spielt immer sicherer zusammen. Das darf natürlich nicht dazu führen, dass man sich nur noch selbst zitiert. Die DNA verhindert diesen Stillstand, denn sie ermöglicht einer Band zu improvisieren und garantiert gleichzeitig, dass man sich treu bleibt. Das ist wahre Kreativität: wenn aus Altem etwas Neues entsteht, ohne dass dabei das Alte ignoriert wird oder sich nur wiederholt. Wenn man so einem Moment unvorbereitet gegenüberstehen kann, ist es das höchste der Gefühle.

Regener:

Die DNA ist eine sehr gute Metapher, um mit einem grossen Missverständnis aufzuräumen: dem Mythos des Sich-neu-Erfindens, was heute viel zu oft von Künstlern erwartet wird. Bands erfinden sich nicht neu! Das ergibt keinen Sinn. Wenn sie das täten, müssten sie sich auch umbenennen. Alles andere wäre ein Etikettenschwindel. Natürlich entwickeln sich Bands stilistisch weiter – mehr aber nicht. Die Identität bleibt bestehen und das ist die DNA einer Band.

 

Wie viel Veränderung kann eine Band aushalten, bevor sie nicht mehr sie selbst ist?

Regener:

Tatsächlich zerbrechen Bands häufig, weil die Vorstellungen der Mitglieder im Laufe der Zeit zu stark voneinander abweichen. Bands sind wie grosse Ozeandampfer. Diese riesigen Schiffe brauchen fünf Stunden, bis sie ihren Kurs geändert haben. Und Bands müssen sich entsprechend auch genügend Zeit geben. Solokünstler haben es einfacher. Sie sind viel wendiger und damit eher wie kleine Sportboote. Man kann sich dann auch mal eine Pappnase aufsetzen und sagen, dass man jetzt Comedy macht. In einer Band kann das nur schiefgehen.

IlJa:

Aber auch Solokünstler sind immer in einem Dilemma. Das Musikgeschäft ist tatsächlich sehr konservativ und das Publikum ist stark auf Glaubwürdigkeit fokussiert. Auch wenn ein Musiker vielfältig interessiert ist, kann er nicht einfach von Folkmusik zu elektronischer Musik wechseln. Fans erwarten doch auch, dass ihre Musiker authentisch bleiben. Das ist ein bisschen wie bei Lebensmitteln: Da hoffen wir auch, dass drin ist, was draufsteht.

 

Welche Rolle spielt die Qualität der Musik für die Langlebigkeit einer Band? 

Regener:

Wir sprechen hier nicht über ein Symphonieorchester, sondern über Rockbands. Eine Rockband lebt ja auch davon, dass sie nicht perfekt ist. Das ist ein wenig wie Sex mit perfekten Körpern. Das gibt es nicht, und wer würde es schon wollen? Es ist das Dreckige, das Spontane und Ungeschliffene, was den Rock’n’Roll ausmacht. Deshalb sollte man auch nicht so handwerk- und technikversessen sein. Das Entscheidende ist, dass wir Songs haben, die uns leichtfallen und die wir auch nach ein paar Bier noch spielen können. Wir gehen auf die Bühne, weil es aufregend ist und nicht weil es perfekt sein soll. Wer Perfektion will, der soll sich ein deutsches Auto kaufen. Ausserdem existieren überhaupt keine Qualitätskriterien für Rock´n´Roll, die einen Erkenntnisgewinn versprechen. Eine harmonische Analyse von Velvet Undergrounds «Waiting for my man» kann man natürlich versuchen, aber man kommt der Sache damit nicht näher.

 

Kann man überhaupt erklären, warum «Waiting for my man» so ein toller Song ist?

IlJa:

Ich als Musiker muss bei solchen Songs immer denken: Das kann ich auch. Und im selben Moment weiss ich, dass es unerreichbar ist. Das faszinierende an Kunst ist ohnehin, dass sie den Impuls geben kann, es selbst zu probieren. Da unterscheidet sich Popmusik aber auch stark von klassischer Musik, die eine viel grössere Distanz zum Hörer aufbaut.

Regener:

Simplizität ist ganz sicher ein Grund für Langlebigkeit. Wir sind ja auch eine Band, die gerne Stücke mit zwei Akkorden macht, obwohl wir da nicht dogmatisch sind. Es sind aber ganz sicher die einfachen Songs, die sich am längsten halten.

 

Kunst gibt es seit Menschengedenken. Welche Rolle spielt sie für die Langlebigkeit einer Gesellschaft?

Regener:

Wie Atmen und Essen ist Kunst ein Grundbedürfnis des Menschen. Ich bin der Überzeugung, dass sie uns viel mehr von den Tieren unterscheidet als der Einsatz von Werkzeugen oder unsere komplexe Sprache. Etwas zu schaffen, was es vorher nicht gab, und dabei die Welt verändern, ist ein einschneidendes Erlebnis für einen Menschen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dieses Vermögen nicht zu haben. Die ersten Menschen haben nicht einfach nur Büffel gejagt, sondern sie haben das Ganze an Höhlenwände gemalt, um es sich anzusehen. Als sie dann am nächsten Tag wieder zum Jagen gingen, war die ganze Tatsache überhöht und verklärt worden. Es bekam einen Glanz, den es vorher nicht hatte.

 

Haben sich diese frühen Menschen bewusst verewigt? 

Regener:

Ich glaube nicht, dass es ihre Idee war. Es ging ihnen weniger um die Zukunft als um ihr subjektives Erleben. Wenn man mit einem Kind an einer Weide vorbeikommt und sagt: «Schau mal, Pferde!», dann wird es für das Kind zu einem komplett anderen Erlebnis, wenn es vorher ein Bilderbuch mit Pferden gesehen hat. Der Anblick der Pferde ist nicht derselbe – auch er hat einen neuen Glanz bekommen.

Bei der Musik zeigt sich das Phänomen bei traurigen Songs. Im richtigen Leben ist das Traurige absolut nichts Schönes. In der Musik kann das Traurige aber eben doch schön sein. Die Büffeljagd wird durch die Kunst etwas Prächtiges und das Traurige kann durch die Kunst etwas Schönes werden.

 

Medien werden heute anders konsumiert als vor 20 Jahren – mobil, digital, interaktiv usw. hat diese Veränderung einen einfluss auf die lebensdauer künstlerischer Produkte?

Regener:

Nicht wirklich. Die grosse Revolution im Musikgeschäft war die Erfindung des Grammophons. Und nichts von all dem, was wir in den letzten 20 Jahren erlebt haben, kommt nur im Ansatz dieser unfassbaren Veränderung nahe, dass man die Musik nicht mehr live spielen muss, um sie zu hören, sondern dass man sie einfach abspielen kann. Daran hat sich bis heute nichts geändert: Es wird nichts anderes gemacht, als Musik abzuspielen. Alles, was wir heute erleben, ist immer noch die Nachgeburt der Erfindung des Grammophons.

Die Menschen wollen immer Zeugen einer grossen Revolution sein, wie jeder auch Teil einer Jugendbewegung sein möchte. Wenn man ehrlich ist, bestimmt das auch die Sicht auf das Internet. Hier war der wirklich entscheidende Schritt die Erfindung des Telefons, womit sich unsere Kommunikation radikal verändert hat. Plötzlich konnte man mit Leuten sprechen, die an einem ganz anderen Ort waren. Das Internet ist nur die 50ste Verlängerung dieser Erfindung. Ich bin 54 Jahre alt. So wahnsinnig anders als in den Siebzigern fühlt sich für mich das Leben heute nicht an. Ich glaube, dass die wesentlichen, die weltverändernden Erfindungen schon vorher gemacht waren. Deshalb bin ich sicher, dass sich auch heute noch Bands gründen können, die 30 Jahre lang existieren werden. Dazu braucht es lediglich den unbedingten Willen, Musik machen zu wollen.

 

Sven Regener und Jakob Ilja sind Gründungsmitglieder der Rock’n’Roll Band «Element of Crime». In 30 Jahren Bandgeschichte haben sie auf 15 Studioalben über 160 Songs veröffentlicht. Ihre Lieder sind geprägt von einer melancholisch-hoffnungsvollen Sicht auf die kleinen und grossen Fragen des Lebens. Neben der Musik ist Sven Regener Schriftsteller und Drehbuchautor. Sein Roman «Herr Lehmann» und der gleichnamige Film haben Kultstatus erlangt.

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