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Talent, Technologie und Toleranz. Gespräch mit Richard Florida

Wer im globalen Wettbewerb mithalten will, braucht möglichst viele kreative Köpfe, sagt Richard Florida, der Autor des Bestsellers «The Rise of the Creative Class». Der amerikanische Wirtschaftsprofessor spricht über das kreative Potenzial in uns allen, die Wichtigkeit des Wohnorts und die Lehren, welche wir aus der gegenwärtigen Wirtschaftskrise ziehen sollten.

Von Simone Achermann

 

Was sind die wichtigsten Fähigkeiten fürs 21. Jahrhundert, für ein Land, ein Unternehmen und für jeden Einzelnen?

Ich glaube, dass jeder Mensch kreativ ist. Diese Kreativität zu fördern, ist die Voraussetzung für das Glück jedes Einzelnen wie auch für das weltweite wirtschaftliche Wachstum. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit beruht auch die Logik der Wirtschaft darauf, dass die Voraussetzung für Wachstum vor allem die Förderung des kreativen Kapitals einer möglichst breiten Bevölkerungsgruppe ist. Das macht mich optimistisch. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Die grosse Kunst für das 21. Jahrhundert ist es, Wege zu finden, um die Kreativität in jedem von uns zu entwickeln.

 

Und wo wird diese Kunst gefördert?

In den weltweit entstehenden Mega-Regionen. Damit ist ein Gebiet gemeint, das einen Grossteil der wirtschaftlichen Aktivität und Innovation generiert und so als mächtige Wirtschaftseinheit funktioniert. Weltweit gibt es 40 Mega-Regionen – unter anderem Grosstokyo, das Gebiet London-Leed-Chester und Mexico City – welche insgesamt ein Fünftel der Weltbevölkerung beherbergen, zwei Drittel des globalen Wirtschaftsoutputs und 85 Prozent aller weltweiten Innovationen hervorbringen. Langfristig werden nur kreative Orte wirtschaftlich eine zentrale Rolle spielen. Wo man wohnt, ist für die Kreativität genauso wichtig, wie wen man heiratet für das persönliche Glück. Die Globalisierung macht die Erde nicht flach, sondern spitzig.

 

Sollen wir alle zukünftig in Mega-Regionen leben?

Ob in einer Mega-Region oder nicht – wichtig ist, dass man in einer kreativen Umgebung lebt, welche die drei Ts erfüllt: Talent, Technologie und Toleranz. Wenn diese Kriterien gegeben sind, werden Individuen, Organisationen, Städte und Länder in der Lage sein, im globalen Wettbewerb mitzuhalten. Talent steht dafür, dass hinter jeder funktionierenden Wirtschaft vor allem eines steht: talentierte Leute. Und diese pilgern in einer immer mobileren Gesellschaft eben dorthin, wo es die besten Karrierechancen gibt. Für jede Gemeinschaft gilt es also, möglichst viele kreative Köpfe anzulocken. Ein Weg, dies zu tun, ist das zweite T, Technologie. Kreativität ist an gute Infrastrukturen gebunden. Forschung, Ideen und Innovationen brauchen die Möglichkeit, in vermarktbare, zukunftsfähige Produkte umgesetzt zu werden. Das dritte T, Toleranz, steht für die Tatsache, dass kreatives Talent Gemeinschaften und Organisationen erfordert, die offen sind für neue Ideen, Menschen mit verschiedenen Hintergründen und für andere Vorstellungen von sozialen Machtstrukturen.

 

Können wir denn Toleranz lernen?

Absolut. Es ist die Aufgabe von Regierungen, Rahmenbedingungen für eine tolerante Gesellschaft zu schaffen, zum einen mit ihren Gesetzgebungen, zum anderen mit der Tonalität ihrer Botschaften. Kreatives Talent ist immun für Klassifizierungen nach Hautfarbe, Ethnie, Geschlecht, äusserer Erscheinung oder sexueller Präferenz. Eine Gemeinschaft, die sich vor Ausländern oder Homosexuellen verschliesst, wird ins Hintertreffen geraten. Die USA zum Beispiel fallen immer mehr ab. Es war die Bereitschaft Amerikas in den 1920er, 30er und 40er Jahren, alle die aufzunehmen, welche die restliche Welt nicht wollte, die das Land so gross gemacht hat. In dieser Zeit haben die USA einige der hellsten Köpfe für sich gewonnen – vom Kernphysiker Enrico Fermi bis zu Albert Einstein. Doch Amerika kommuniziert diese Botschaft nicht mehr. Und auch Länder wie die Schweiz sollten nicht in die gleiche Falle treten, wenn sie im globalen Kreativzeitalter mithalten wollen.

 

Welche Lehren sind aus der gegenwärtigen Krise zu ziehen?

Es wird auch in Zukunft Krisen geben. Und das ist gut so, denn die Gesellschaft erfindet sich neu in Krisenzeiten. Veraltete Industrien und leere Konsumbräuche machen Platz für neue Produkte und Dienstleistungen, Arbeitswelten und Lebensstile. Dieser «Reset» zeigte sich in der Nachkriegszeit in Amerika in der Entstehung der Massenkonsumgesellschaft und einer radikalen Veränderung der Arbeitsweise. Handwerkliche Tätigkeiten – damals die wichtigste Berufsgattung in Amerika – verabschiedeten sich von Tieflohnarbeit und unterdrückenden Arbeitsbedingungen und verwandelten sich zu Berufen, die nicht nur respektabel, sondern sogar begehrenswert waren. Und plötzlich sah es aus, als ob jedem Arbeiter der Schlüssel zum Amerikanischen Traum übergeben werde: Ein Haus, ein Auto und höhere Bildung für die Kinder, damit die nächste Generation auf noch grösserem Fuss würde leben können. Die meisten dieser handwerklichen Berufe werden heute in Übersee ausgeübt, während fast die Hälfte der Amerikaner im Dienstleistungssektor arbeitet. Was uns die jetzige Krise lehrt, ist, dass wir auch diese Berufe – die über 60 Millionen Dienstleistungsjobs – aufwerten. Angestellte sollen besser entlohnt und ihre kreative Teilnahme am Arbeitsprozess muss gefördert werden, zum Beispiel mit der Schaffung von Berufsgemeinschaften. Ein Blick auf erfolgreiche kreative junge Unternehmen wie Zappos zeigt, in welche Richtung die Entwicklung gehen könnte. Eine der wichtigsten Aufgaben des 21. Jahrhunderts ist es, die Arbeit im Dienstleistungssektor durch mehr Lohn und kreativen Freiraum attraktiver zu machen.

 

 

Richard Florida ist einer der bekanntesten Intellektuellen und meistgefragten Redner zu den Themen wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, demografische Trends, kulturelle und technische Innovation. Florida ist Leiter des Martin Prosperity Institute und Professor für Wirtschaft und Kreativität an der Rotman School of Management der Universität von Toronto. Zuvor hatte er Professuren an der George Mason Universität und an der Carnegie Mellon Universität und unterrichtete als Gastprofessor an der Harvard Universität und am MIT. Florida erlangte sein Ph.D. an der Columbia Universität. Als wichtigste seiner zahlreichen Publikationen gelten die Bestseller «The Rise of the Creative Class» (2002) und «Who’s Your City?» (2008). In seinem neuen Werk «The Great Reset» beschäftigt sich Florida damit, wie neue Lebensstile und Arbeitswelten die Wirtschaft nach ihrem Einbruch wieder aufblühen lassen. 

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