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Zur Herkunft und Zukunft des Geldes. Von Burkhard Varnholt

 

Von Muscheln und Pfeilspitzen über die Münzen des Krösus bis hin zum abstrakten Buchgeld: Die Geschichte unseres Zahlungsmittels ist lang, aufregend und folgenreich. Segen und Fluch einer Geldschöpfung ohne Grenzen hat bereits Goethe in beispielloser Klarheit erkannt. Den Zielkonflikt zwischen Wirtschaftswachstum und Ressourcenschonung zu lösen, wird zur Schlüsselherausforderung.

 

«Der Herr hats gegeben – der Herr hats genommen.»

Darf man den Begriff «Herr» durch den Begriff «Nationalbank» ersetzen? Man darf.

Obwohl wir Notenbanken keineswegs übermenschliche Fähigkeiten attestieren sollten, hatten sie seit ihrer Gründung regelmässig eine fast allmächtige Position in der Gesellschaft inne. Die staatlich legitimierte Geldschöpfung legte die entscheidenden Vorraussetzungen für das Wirtschaftswachstum. Und das Geld stellt vielleicht die wichtigste Erfindung in der Geschichte der menschlichen Zivilisation überhaupt dar. Erst die Akzeptanz von Geld als allgemeinem Tauschmittel ermöglichte eine arbeitsteilige Wirtschaft, in welcher Spezialisierung als Motor des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts wirkt. Die Alternative zur Geldwirtschaft ist die Subsistenzwirtschaft, also die Selbstversorgung. Sie existiert in gewissen Entwicklungsländern bis heute. Doch eine Subsistenzwirtschaft könnte unter keinen Umständen die heutige Weltbevölkerung ernähren.

Der Vorteil des Geldes ist schon in uralten Zeiten entdeckt worden. Anfangs handelte es sich dabei um nützliche Gegenstände wie Muscheln, Pfeilspitzen oder auch Salz, die leicht zu transportieren, aufzubewahren und abzuzählen waren. Unter dem sagenhaften König Krösus (um 590–541 v. Chr.) wurden in Lydien – einem Königreich im heutigen Gebiet der Türkei – die ersten einheitlichen Münzen geprägt. Nach und nach verbreiteten sich Münzen dann über den gesamten Mittelmeerraum. Ihr Vorteil gegenüber dem Warengeld lag darin, dass sie ein festgelegtes Gewicht hatten. Damit konnten sie beim Bezahlen einfach abgezählt statt umständlich gewogen werden. Bei den sogenannten Kurantmünzen entsprach der Wert genau dem in ihnen enthaltenen Silber- oder Goldgewicht. Später kam man darauf, dass das eigentlich gar nicht notwendig ist. Denn solange die Münzen nicht stärker vermehrt werden, als die gehandelte Gütermenge steigt, bleiben sie auch so hinreichend knapp und damit werthaltig.

 

Die Erfindung des Papiergelds

Das heute gebräuchliche Papiergeld hingegen hat sich in der Vergangenheit oft als wenig wertbeständig erwiesen. In seinem Ursprung geht es auf den Wechsel zurück, denn letztlich ist eine Banknote nichts anderes als ein Zahlungsversprechen. Diese historischen Wurzeln sind heute noch sichtbar auf der englischen Pfundnote, wo es heisst: «I promise to pay the bearer on demand the sum of one pound.»

 

Standardisiertes Papiergeld kam zum ersten Mal im 7. Jahrhundert in China auf. In Europa ist es dagegen erst ab Ende des 15. Jahrhunderts bekannt. Zunächst war es nur als Ersatzgeld für den Fall von Münzknappheit gedacht, aber bereits 1661 gab die Stockholmer Bank offizielle Banknoten heraus. Man hatte begriffen, dass das Papiergeld für den Zahlungsverkehr viel praktischer ist als der Einsatz knapper Edelmetalle. Zudem sind seine Herstellungskosten ungleich geringer als die für Münzen.

Diesen Umstand machte sich im grossen Stil zuerst der schottische Nationalökonom und Finanzjongleur John Law zunutze. Er überredete den französischen König dazu, staatliches Papiergeld zu drucken und damit Münzen und staatliche Schuldscheine aufzukaufen. Anfänglich war das Ganze ein grandioser Erfolg, aber Law machte den Fehler, zu viel von dem neuen Geld in Umlauf zu bringen. Infolgedessen kam es im Jahr 1720 zu einer heillosen Inflation, ähnlich wie in vielen späteren Fällen des sorglosen Umgangs mit der Notenpresse. Das Extrembeispiel war die deutsche Hyperinflation von 1923, auf deren Höhepunkt eine Reichsmark gerade noch ein Billionstel Dollar wert war. Dass es auch anders geht, zeigen die deutlich überwiegenden Erfolgs-Geldgeschichten der Nachkriegszeit. Wenn man das Geld knapp genug hält, taugt sogar das völlig immaterielle Buchgeld, das heute den grössten Teil der Geldmenge ausmacht, als Wertaufbewahrungsmittel.

 

 

Goethe als Finanzprophet

Sowohl Segen als auch Fluch des Geldes thematisierte in einer bis heute unübertroffenen Klarheit Goethe, der ein grosser Realist war. In seinem 1769 entstandenen Theaterstück «Die Mitschuldigen» schildert er, wie ein Dieb an eine Geldschatulle herantritt. Er spricht zu sich selbst, während er die Schatulle mit dem Dietrich aufschliesst:

 

O komm, du Heiligtum! Du Gott in der Schatulle,
Ein König ohne dich wäre eine grosse Nulle.
Habt Dank ihr Dietriche, ihr seid der Trost der Welt, Durch euch erlang ich ihn, den grossen Dietrich: Geld!

Es ist kein Zufall, dass auch Goethes Faust im zweiten Teil des Dramas sein Wirtschaftsvorhaben mit dem Geldschöpfungsakt beginnt. Er hat damit den magischen Schlüssel in der Hand, der Zugang schafft zu allen Tresoren der Welt. In diesem Werk erklärt Goethe die moderne Wirtschaft als einen alchemistischen Prozess, welcher letztlich den Motor hinter unserem Wachstumsstreben darstellt. Er erkannte bereits damals, dass das menschliche Verlangen nach Herrschaft und Eigentum quasi direkt zu einer auf Wachstum – sprich permanenter Geldschöpfung – abzielenden Wirtschaftsordnung führen wird, wie sie heute kaum mehr wegzudenken scheint. Und dass eine aus dem Ruder laufende Geldschöpfung, auch wenn sie zuerst Handel und Wandel beschleunigt, über kurz oder lang zur Inflation führen muss.

Der Hofnarr in «Faust» ist es, der diese zeitlose Botschaft in einem Gespräch mit Mephistopheles ausspricht.

 

DER NARR fragt, indem er einen «Zettel» [Geldschein] betrachtet: Da seht nur her, ist das wohl des Geldes wert?

MEPHISTOPHELES: Du hast dafür, was Schlund und Bauch begehrt.

DER NARR: Und kaufen kann ich Acker, Haus und Vieh? MEPHISTOPHELES: Versteht sich!

Biete nur, das fehlt dir nie.

DER NARR: Und Schloss, mit Wald und Jagd und Fischbach?

MEPHISTOPHELES spottet: Traun!
Ich möchte dich gestrengen Herrn wohl schaun!

NARR: Heut abend wieg’ ich mich im Grundbesitz! MEPHISTOPHELES allein (anerkennend): Wer zweifelt

noch an unseres Narren Witz!

Der Narr, der wie immer der einzige Kluge ist, hat die drohende Inflation und gleichzeitig den Ausweg daraus erkannt: die Flucht in die Sachwerte. Die Aussage hat nichts an Aktualität eingebüsst. Auch in Zukunft werden schleichende oder rasante Inflationen den Wert privater Ersparnisse und Rentenansprüche untergraben – und zugleich den (meist hoch verschuldeten) Regierungen auf unsichtbare Weise ihre Schulden abtragen.

Und noch ein weiteres höchst aktuelles Thema erkannte Goethe: wie unser Streben nach mehr Wachstum und Wohlstand einen gefährlichen Raubbau an natürlichen

Ressourcen auslösen würde. So dürfen wir annehmen, dass in seiner Ballade «Der Zauberlehrling», in der ein Zauberlehrling Besen in Wasser tragende Knechte verwandelt, diese dann aber nicht mehr bändigen kann, so dass eine fürchterliche Überschwemmung entsteht, die moderne Wirtschaft angesprochen ist. Auch sie kennt das Zauberwort, um die Maschinerie des Fortschritts in Bewegung zu setzen, aber nicht jenes, das sie wieder unter Kontrolle bringt, wenn sie sich selbstständig machen will und die Sättigungstendenzen missachtet. Dann rufen wir umsonst den Maschinenmenschen die Worte zu, mit denen der Zauberlehrling seine Besen anfleht:

Stehe! Stehe!
Denn wir haben
Deiner Gaben
Vollgemessen!
Ach, ich merk’ es! Wehe! Wehe! Hab ich doch das Wort vergessen! Ach das Wort, worauf am Ende Er das wird, was er gewesen!

Das Wasser, das im Gedicht die natürlichen Ressourcen in ihrer Gesamtheit repräsentiert, wird überfluten, so dass wir schliesslich in seinen Massen – in der Umweltbelastung durch den Verbrauch der Ressourcen – umzukommen drohen.

Wie also weiter? Wird unser Wirtschaftswachstum weiterhin Konflikte mit Natur und Umwelt provozieren – und falls ja: Was können wir dagegen tun? Wird das Geld auch in den nächsten Jahren noch Handel und Wandel antreiben? Oder verändern Inflationsrisiken die globale Währungsordnung?

 

Drei Thesen zur Zukunft des Geldes

 

I

 

Der von Goethe schon frühzeitig erkannte Zielkonflikt zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltschutz wird in Zukunft sichtbarer denn je. Die lebensnotwendige Fiktion jeder Papierwährung, sie verbriefe oder «verflüssige» die Bodenschätze ihrer Volkswirtschaft, beschleunigt in aller Regel den Raubbau an der Natur. Vor dem Hintergrund des ungebrochenen demografischen, technologischen und wirtschaftlichen Wachstums ist mit einer weiteren Beschleunigung dieser Entwicklung zu rechnen. Sie wird wahrscheinlich eine radikale Teuerung der Natur und ihrer Ressourcen auslösen. Alsdann wird der von Goethe so klar erkannte Konflikt zwischen Wirtschaft und Umwelt besser verstanden werden. Die Einsicht, dass man vom Geld allein nicht satt wird, könnte – gekoppelt an Knappheitspreise – Impulse für eine nachhaltigere wirtschaftliche Entwicklung liefern.

 

II

 

Ein multipolares Weltwährungssystem wird die Dollardominanz ablösen. Angst vor Inflation und der unsicheren Finanzierung des amerikanischen Staats wird zunächst – ähnlich wie bei Goethes Faust – nur von vermeintlichen «Narren» verspürt. Doch mit der Zeit wird der US-Dollar seine Funktion als Ankerwährung vieler Schwellenländer einbüssen. Anstelle einer Währungsanbindung werden viele Schwellenländer ihre Wechselkurse liberalisieren. Mittlerweile haben diese Staaten so viel erreicht und so viel zu verlieren, dass ihre Währungen genügend Glaubwürdigkeit besitzen, um auch ohne Anbindung an eine grössere Währung zu bestehen. Das globale Währungssystem wird durch diesen Übergang von der Unipolarität zur Multipolarität ironischerweise nicht geschwächt, sondern im Gegenteil diversifizierter, flexibler und damit letztlich stärker werden.

 

III

 

Gold glänzt zeitweise heller als Geld. Wahrscheinlich werden einige der grössten Schuldnernationen in den kommenden Jahrzehnten die Kraft zur fiskalpolitischen Gesundschrumpfung nicht aufbringen. Als Ultima Ratio bleibt ihnen ein Schuldenschnitt oder eine Währungsreform. Beide Entwicklungen würden die Glaubwürdigkeit ihrer Währung radikal untergraben. Dann wäre – allen Nachteilen zum Trotz – ein temporärer Goldstandard ein möglicher Weg, um wieder eine neue, glaubwürdige Währung schaffen zu können.

 

Dr. Burkhard Varnholt ist Chief Investment Officer und Mitglied der Geschäftsleitung der Bank Sarasin & Cie AG sowie Mitgründer des Think Tanks W.I.R.E. Vor seiner Banktätigkeit unterrichtete er an der Universität St. Gallen (HSG), am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und an der London School of Economics und veröffentlichte zahlreiche Bücher und Fachartikel. Als passionierter Kunstsammler wirkte er in der Einkaufskommission der Tate Modern Gallery, London, mit. Burkhard Varnholt ist Familienvater und Gründer des karitativen Vereins «Kids of Africa – Schweiz-Afrikanisches Waisenhilfswerk».

 

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